Dienstag, 19. Juli 2005
schon wieder Schlaflabor verrückt.
Nachtrag.
Dann muss ich doch noch mal ein wenig Geld verdienen. Mein alter Studentenjob tut's immer noch, und so ist es der bestimmt dreihundertste Dienst, wieder nur Bilderbuchpatienten.
Bilderbuch bezieht sich hier auf den IQ und die Lieblingslektüre der Patienten, nicht etwa auf ein Prädikat "pflegeleicht". Und ich arbeite (leider)nicht im Kinderkrankenhaus.

Gegen acht Uhr abends beginnt die Arbeitsnacht. Anton A., der zur Nachuntersuchung kommt, reist ohne Gepäck an. Nach etlichen Versuchen, gespickt mit kölschem Kauderwelsch (datt un watt un siescher datt), ist es mir gelungen, ihm den Zusammenhang zwischen einem "Schlaflabor" und "Schlafen" zu vermitteln. Vor drei Monaten war er das erste Mal hier, drei Nächte am Stück, und bekam ein Beatmungsgerät verpasst. Das er eigentlich mitbringen sollte, zur Nachuntersuchung.
"Dann muss isch die janze Nacht hierblieve?", schaut er mich mit traurigen Augen an. "Aber isch han doch nix zum Schlafe mit!".
Mist. Ich dachte, da waren wir schon.
Leider etwas zu genervt frage ich ihn, was er sich denn so von einem Termin im SCHLAFLABOR um acht Uhr abends so erwartet hat. Erschrocken sieht er mich an und ich sehe: gleich beginnt er zu weinen, so wässrig sind die Augen schon. Auch drohende Männertränen scheinen bei mir zu funktionieren, ich stoße mich selbst von meinem hohen Ross und wir rufen gemeinsam seine Frau an, die 15 Minuten später samt Schlafsachen und CPAP-Gerät etwas verschwitzt auf der Matte steht. Sie drückt erst ihren Anton A., dann ihm noch die Zahnpasta auf die Zahnbürste, und mir zum Abschied 10 Euro in die Hand. "Seit er Frührentner ist, mein Anton, ist er etwas verwirrt und vergeßlich. Nehmen Sie's ihm nicht übel, aber es liegt an seinen beiden Hobbys: Schnaps und Bier."
Und ich dachte, der flennt gleich! Meine imaginäre dritte Hand schlägt mir auf die Stirn, und jetzt erst nehme ich Antons Alkoholausdünstungen war. Luftanhaltend verkable ich ihn in Windeseile und kümmere mich um die anderen.

Bruno B. erweist sich als Profi, seit sechs Jahren Schlafapnoe-Syndrom, Kontrolltermin. Leider will er nackt und mit 2 Decken schlafen, ich besteche ihn mit der Aussicht auf zwei Extrabrötchen zum Frühstück zu Boxershorts, T-Shirt und Bettlaken, dadurch bleibt mir der Anblick von 135 Kilo Fett und Fleisch bei 165cm Größe erspart. Und er schwimmt nachts nicht im eigenen Saft davon, bei der Hitze.

Der dritte ist ein Neuling namens Carl C., er ist ein bißchen nervös, hört aber aufmerksam zu. Wer schläft schon gerne mit 12 Kabeln am Kopf! Wahrscheinlich habe ich ihm gegenüber die Kamera nicht erwähnt, die gut sichtbar über dem Bett hängt. Und nebendran eine Infrarotlampe. Steht ja auch drauf. Aber dazu später mehr.
Wie schon Tausende vor ihm reißt er den Anfängerwitz über den leuchtenden Fingerclip, der die Sauerstoffsättigung im Blut misst: "E.T. nach hause telefonieren".

Ich prüfe die Werte am Computer und staune über die Klingel, immerhin ist es schon halb Elf. Vor der Tür steht Dietmar D., hektisch, hochrot im Gesicht und äußerst kleinlaut im Gemüt. Er sei so verspätet wegen Familie, Stau und Arbeit, und es tue ihm leid, er entschuldige sich für die Unannehmlichkeiten und er bitte mich nun höflich, ihn nach Möglichkeit doch noch dran zu nehmen, er habe doch ganze zwei Monate auf diesen Termin gewartet und im Internet gelesen, wie dringlich eine solche Untersuchung in seinem Falle sei.

In mir grinst es diabolisch. Dietmar D. kann ja nicht ahnen, daß er ohnehin erst jetzt an der Reihe wäre. Und er ist ein ViiP! Genau, mit zwei "i":
Vom Internet informierter Patient.
Ein richtiger ViiP hat leider jede richtige Information aus dem Netz mit mindestens zwei Werbe- oder Fehlinformationen abgespeichert.
"Sport ist gesund, aber nur im Fitness-Studio, wegen Feinstaub und so."
Jedenfalls kann mein Zögern ihn nicht dazu bringen, mich bestechen zu wollen. Ich bin dennoch gnädig und nehme ihn dran, ich widerstehe sogar dem Drang, ihn sein Bett selbst beziehen zu lassen.

Zurück bei den PCs und Monitoren beginnt die lange Nacht. Wenn da nicht so ein Flackern auf Herrn C.s Monitoren wäre. Die Technik! Die Fehlersuche ergibt nichts. Alles aus, alles an, sämtliche Kabel gerüttelt und gesteckt. Ich schaue mir das Flackern genauer an. Da ist doch irgendwas.
Wilde Gehirnströme.
Und auf dem Monitor... .
So plötzlich erkenne ich, was vor sich geht, daß ich mir zurückzuckend den Kopf stoße:
Herr C. onaniert.
Er holt sich einen runter, er schüttelt sich einen.
Seine eigene One-Hand-Show,
Mütze-Glatze, Mütze-Glatze, volle 12 Minuten lang.

Die Aufzeichnung hatte schon begonnen.

Den rot leuchtenden Fingerclip werde ich morgen früh nicht anfassen.

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